Die Kirchengemeinden
Von Reinhard Wagner (St. Martin-Gemeinde) und Martin Benhöfer (Christus-Gemeinde)

Stadensen gehört seit alten Zeiten zur Kirchengemeinde Nettelkamp. Dort wird es seit dem 10. Jahrhundert eine Holzkirche gegeben haben. Nettelkamp wurde 1006 erstmals urkundlich erwähnt. Im Jahr 1282 wird erstmals in einer Urkunde ein Priester Jordanus in Nettelkamp genannt.

Für die Landbevölkerung in den Dörfern spielte die Kirche eine wichtige Rolle im Alltag. So war ihre Welt und ihr Jahreslauf nach Heiligentagen datiert. Die Kirchenglocken ordneten mit ihrem Geläut den Tagesablauf. Die Messe kam den religiösen Bedürfnissen der Menschen entgegen, ordnete ihren Alltag und prägte den jährlichen Festrhythmus der Gemeinschaft.

Die St. Martin-Kirche

St. Martin-Kirche in Nettelkamp
St. Martin-Kirche in Nettelkamp (Foto: Reinhard Wagner)

Zumindest seit 1280 gibt es in Nettelkamp eine Kirche, deren Fundament aus Feldsteinen noch heute erkennbar ist. Während der Hildesheimer Stiftsfehde brannte die Kirche 1519 vollständig aus. 1521 wurde die Kirche in ihrer heutigen Form neu aufgebaut. Der Kirchturm wurde 1882 errichtet. 1527 wurde auch in der Kirchengemeinde Nettelkamp durch Herzog Ernst der Bekenner die Reformation eingeführt.

Nach der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen im Jahr 1866 kamen auch auf die Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinden des Landes tiefgreifende Veränderungen zu. Um 1878 kam es in der Folge zur Spaltung der Kirchengemeinde und zur Gründung einer freien lutherischen Gemeinde in Nettelkamp, der Christusgemeinde (SELK). Diese Spaltung führte in den Dörfern zu Zerwürfnissen zwischen Nachbarn und sogar innerhalb von Familien; davon war Stadensen ebenfalls nicht ausgenommen.

Seit 1974 ist die St.-Martin-Kirchengemeinde Nettelkamp mit der St.-Laurentius-Kirchengemeinde Stederdorf zur Evangelisch-Lutherischen St.-Laurentius- und St.-Martin-Kirchengemeinde zusammengeschlossen.

Gemeindeleben im 20. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert entwickelte sich im Leben der Kirchengemeinden zunehmend eine Mitwirkung der Gemeindeglieder in Gruppen und Kreisen wie dem Posaunenchor, Kirchenchor, in Frauen-, Handarbeits- und Jugendkreisen und im Kindergottesdienst. Auch Menschen aus Stadensen waren und sind daran beteiligt. Im Kirchenvorstand wirkten und wirken Gemeindeglieder aus Stadensen an der Leitung und Entwicklung der Kirchengemeinden mit.

Gottesdienste finden auch in den Dörfern der Kirchengemeinde statt. In Stadensen wird die Badesaison des Sommerbades regelmäßig mit einem Freiluft-Gottesdienst eröffnet, der abwechselnd von der St.-Martin-Kirchengemeinde und der Christus-Gemeinde gestaltet wird. Auch zu anderen Gelegenheiten, wie zum 100-jährigen Jubiläum des Sportvereins Stadensen, finden Gottesdienste in Stadensen statt. In der Seniorenwohnanlage in Stadensen gibt es regelmäßig Andachten.

Auch an den Kirchengemeinden in Nettelkamp und an unseren ländlich geprägten Dörfern geht der Strukturwandel der Kirche, der allenthalben spürbare Traditionsabbruch, zu bemerken in nachlassendem Interesse an der Kirche und zunehmenden Kirchenaustritten, nicht vorüber. Dennoch sind die Kirchengemeinden hier noch als ein ernst genommener Partner im Zusammenspiel von Vereinen, Dorfgemeinschaften und Kommune geachtet.

Die Verbundenheit zwischen Kommune, Vereinen und Kirchengemeinden, die bei uns auf dem Lande noch besteht, zeigt sich auch darin, dass die Pastorin oder der Pastor zu Veranstaltungen der Kommune oder Vereine eingeladen wird, und andererseits Vertreter von Vereinen und Kommune wichtige kirchliche Veranstaltungen besuchen. Auch das Verhältnis zwischen der Kirchengemeinde der Landeskirche und der Christus-Gemeinde der SELK hat sich soweit normalisiert, dass auch gemeinsame Veranstaltungen heute problemlos möglich sind.

Die Christus-Gemeinde: Der zweite Kirchturm in Nettelkamp

Was es damit auf sich hat, erhellt ein kleiner Ausflug in die Geschichte: In verschiedenen Regionen Deutschlands entstanden im 19. Jahrhundert vom Staat unabhängige lutherische Kirchen. Die Auslöser lassen sich, sehr vereinfacht, auf drei Nenner bringen: staatliche Einmischung in Lehre und Verfassung der Kirche, Verweltlichung der Kirche sowie die Vermischung unterschiedlicher Bekenntnisse innerhalb von Kirchen.

Christus-Kirche in Nettelkamp
Christus-Kirche in Nettelkamp (Foto: Rolf Alpers)

Mit der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen 1866 wurde der reformierte preußische König zum Oberhaupt der lutherischen hannoverschen Landeskirche. Vor allem in den frommen „erweckten“ Kreisen (besonders um die Hermannsburger Mission und deren Leiter Louis Harms und später Theodor Harms) befürchtete man nun, dass auch im Hannoverschen die unglückliche preußische Kirchenpolitik durchgezogen werden würde: In Preußen wurden die lutherische Landeskirche und die reformierte Kirche trotz ihrer teilweise gegensätzlichen Bekenntnisse zu einer Union zwangsvereinigt. Im Hannoverschen gab es aber schon vor der Annexion Konflikte, da die Verbindlichkeit des lutherischen Bekenntnisses von verschiedenen Seiten – vom Staat und aus der Landeskirche heraus – in Frage gestellt wurde. Der letzte Eklat war für viele die Einführung einer neuen Trauordnung, in der keine Ehe mehr geschlossen, sondern eine standesamtliche Ehe gesegnet wurde. Eine ganze Reihe von Pastoren konnte das aus Gewissensgründen nicht hinnehmen, darunter Adolf Heicke, Pastor der St.-Martin-Kirchengemeinde Nettelkamp. Die Landeskirche wollte die Pastoren zwingen, die veränderte Ordnung zu benutzen – obwohl der Staat dies nicht forderte. Es kam zu einem ausgiebigen Streit, an dessen Ende, 1878, etliche Pastoren wegen „Ungehorsams“ entlassen wurden. Daraufhin gingen vielerorts Teile von Gemeinden mit ihren Pastoren und traten aus der Landeskirche aus. Sie gründeten unabhängige Gemeinden, die sich zur „Hannoverschen Evangelisch-Lutherischen Freikirche“ zusammenschlossen.

Stadenser in der Christus-Gemeinde

Auch Pastor Heicke wurde entlassen. Wie viele Gemeindeglieder aus Stadensen ihm in die neu entstehende Christus-Gemeinde folgten, ist nicht überliefert. Die ersten Kirchenbücher nennen aber einige Namen, die es in Stadensen teilweise heute noch gibt:

Einer der ersten sechs Kirchenvorsteher („Kirchenjuraten“) war der „Hauswirt Johann Müller zu Stadensen“, (Johann Heinrich Christoph Müller, 1825 – 3. 11.1898). Weitere Namen aus den Kirchenbüchern der Entstehungszeit sind: Schulenburg, Warnecke, Fehlhaber, Zahrte, Meier, Schulz, Pommerien, Lindemann. Da in den alten Kirchenbüchern nicht nur die Namen vermerkt wurden, erfährt man auch etwas über Berufe und soziale Herkunft: Tagelöhner, Hoferbe, Hofanerbe, Anbauer, Anbauersehefrau, Häusler, Schuhmacher, Branntweinbrenner, Hauswirt.

Die Risse, die damals durch Dörfer und Familien gingen, sind heute nicht mehr so sehr spürbar. Heute pflegen die beiden Kirchengemeinden und ihre Glieder ein freundliches Neben- und Miteinander, obgleich hinter der Selbstbezeichnung „evangelisch-lutherisch“ unterschiedliche Ansprüche stehen.

Die Christus-Gemeinde gehört heute zur „Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche“ mit Gemeinden im gesamten Bundesgebiet. Zentral ist für sie nach wie vor, dass die Bibel und die Bekenntnisse der lutherischen Reformation für die Verkündigung verbindlich sind.

Religionszugehörigkeit in Stadensen

Von den 579 Stadensern gehörten 2024 laut Statistik der Samtgemeinde Aue 285 der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche an, 34 waren katholisch und 257 wurden nicht erfasst. Unter diesen 257 Einwohnern gehörten 30 der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche an (Quelle: Christus-Gemeinde Nettelkamp). Der Rest war Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft oder konfessionslos.

Quellen:
Dorfgemeinschaft Nettelkamp (2006): 1000 Jahre Nettelkamp 100 Jahre Freiwillige Feuerwehr – Groß Oesingen 2006

Georg Hencke: „Kleiner Kirchenführer“, ca. 1990

Ronald Winnefeld: Beiträge zur Kirchengeschichte in der Dorfchronik „1000 Jahre Nettelkamp“ von 2006